Anpassung bzw. Adaptation von Exergames für Menschen mit Behinderung
Herkömmliche Videospiele werden für ein breites Massenpublikum konzipiert. Ihr Gamedesign zielt auf eine Berücksichtigung möglichst vieler Interessen der Anwender ab, um für eine breite Käuferschaft attraktiv zu sein, wie z.B. die Spielanwendungen der Nintendo Wii Konsole und Nintendo Switch Konsole. Derartige Spiele wie z.B. WII Fitness bzw. Ring Fit Adventure richten sich an sportlich aktive Menschen, die ein Sportspielerlebnis für Zuhause suchen. Beispielweise erfordert eine Verwendung des WII Balanceboard eine gute Koordination vor allem in Bezug auf das Gleichgewicht. Menschen mit motorischen Einschränkungen wie z.B. ältere Menschen, Schlaganfallpatienten oder Kinder mit motorischen Entwicklungsverzögerungen können somit auf Grund der präzisen Bewegungsanforderungen diese Anwendungen nicht bzw. kaum benutzen.
Exergames dagegen sind spezialisierte bewegungsbezogene Spielanwendungen, welche genau an die Bedürfnisse ihrer Anwender angepasst werden. Ziel ist es, die Interaktion zwischen Gaming Soft- und Hardware, Eingabeinstrumenten und dem Patienten so effizient wie möglich zu verbinden. Um angemessen auf die Bedürfnisse spezieller Zielgruppen eingehen zu können, muss das Gamedesign dynamisch anpassbar sein. Konkret bedeutet dies, dass zu jedem Zeitpunkt der Spielanwendung ein individuelles Schwierigkeits- und Kompetenzniveau für den Spieler verfügbar und das Niveau bestmöglich an die individuellen Bedürfnisse der Patienten angepasst sein sollten. Die Adaptierbarkeit des Spieldesigns beinhaltet Komponenten wie die Spielmechanik sowie die Spiel- bzw. Benutzeroberfläche, das Gameplay und das Gaming-Equipment.
Parameter
Im Spiel können vier zentrale Parameter zur Adaptierung des Gameplays an das GMFCS-Level, genutzt werden. Mit den Parameter kann so z.B. die allgemeine Geschwindigkeit des Avatars verändert werden oder die Sensitivität (Empfindlichkeit) des Balance Boards bzw. des Controllers für seitliche Kippbewegung des Patienten/Spielers eingestellt werden. Folgende Parameter können schnell über das Spielmenü angepasst werden:
– Bewegungs-Vielfaches (Geschwindigkeit)
– Drehgeschwindigkeit-Vielfaches
– Beschleunigung-Vielfaches
– Drehbeschleunigung-Vielfaches
Serious Games im Spannungsfeld positiver Emotionen (Flow) und Effektivität
Beim Einsatz von Exergames in der Rehabilitation gilt es, einen schmalen Korridor zu treffen (Flow), in dem der Patient völlig in das Spielgeschehen eintaucht und dabei genau zwischen dem Spannungsfeld von Effektivität und Spielspaß agiert. Der Drahtseilakt zwischen diesen beiden Extremen kann auch als eine Art Doppelmission verstanden werden. Dabei gilt es, jederzeit die Effektivität der Intervention dem Spielspaß gegenüberzustellen. Ziel ist es, zu jedem Zeitpunkt der Spieleanwendung Immersion zu erreichen, d.h. die optimale Balance zwischen Effektivität, Workflow und Spielspaß
Auf Grund der schnellen Spielmechaniken, gerade bei action-basierten Spielen, kann es Patienten mit ICP schwerfallen, dem Spielverlauf zu folgen. Außerdem können ICP Patienten auch Probleme darin aufweisen, die erforderlichen Inputbewegungen über die Eingabeinstrumente (z.B. Controller, Balanceboards) auszuführen. Zudem kann im Zuge des Spielverlaufs, z.B. wenn das Equipment keine Sicherheit vermitteln kann, ein Gefühl der Angst evoziert werden. Es gibt eine große Anzahl an potenziellen Fehlerquellen, die bei der Interaktion zwischen Patienten und Exergame auftreten können. Laut Hernandez et al. (2013) können diese Fehlerquellen aber auf einige wesentliche Merkmale verallgemeinert werden, wie z.B. die manuellen Fähigkeiten, grob motorische Kontrolle, visuell-motorische Integration, visuell-räumliche Signalverarbeitung sowie Aufmerksamkeit.
Für die passende Adaptierung des Gameplays sollte eine adäquate medizinische Diagnose über das Krankheitsbild vorhanden sein und dementsprechend eine GMFCS-Klassifikation für den Patienten. Laut dem GMFCS Level III, können Patienten kurze Distanzen mit Gehhilfen bewältigen. Für längere Strecken ist ein Gehwagen notwendig. Aufstehen aus dem Sitzen ist nur mit Hilfe möglich und der Stand erfordert eine Hilfsperson bzw. eine Möglichkeit zum Festhalten. Aus der groben Beschreibung der motorischen Fertigkeiten wird ersichtlich, dass es sich für die Patienten als kompliziert erweist, herkömmliche „klassische“ Bewegungen auszuführen, wie z.B. Laufen, Springen oder einseitiges Verlagern des Gewichts. Diese Fertigkeiten sind aber für die meisten herkömmlichen Spieleanwendungen eine Grundvoraussetzung und verhindern somit eine Anwendung bei ICP Patienten.
Wenn man auf Anwendungen mit einem Balance Board eingeht, sollten verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Zum einen sollte der Aufstieg auf das Board so leicht wie möglich gestaltet werden, d.h. der Einstiegsbereich sollte etwa frei von Kabeln sein. Zudem anderen sollte allseitig eine Festhaltemöglichkeit in Griffweite verfügbar sein. Ebenfalls in Reichweite sollte sich eine Hilfsperson befinden, um den Patienten bei Problemen ein schnelles Absteigen zu ermöglichen. Die Position bzw. Höhe des Bildschirms sowie die Spieleinhalte wie z.B. Symbole, Elemente oder Mauszeiger müssen in einer angemessenen Größe individuell an die Sehfähigkeiten des Patienten angepasst werden. Auch das Gameplay (Spielfrequenz bzw. Geschwindigkeit) sollte individuell an die motorischen Fähigkeiten adaptiert werden.
Folgende Faktoren sollen bei der Konzipierung der Spiele laut Wiemeyer et al. (2015) bedacht werden:
- Die Spielehandhabung sollte leicht verständlich sein z.B. Limitierung der Anzahl der Controller-Tasten, die für die Spieleanwendung nötig sind
- Das Spielequipment sollte Sicherheit vermitteln durch ein Geländer zum festhalten, das um ein Balanceboard herum befestigt wird z.B. Vierfuß-Gehstützen, Posterior-Walker, etc.
- Die Spielgeschwindigkeit sollte an das Tempo der Informationsauffassung und der kognitiven Informationsverarbeitung der Patienten angepasst sein
- Das Schwierigkeitsniveau im Spiel sollte permanent an den momentanen Zustand des Patienten angepasst werden z.B. Geschwindigekeit, Drehgeschwindigkeit, Objektgrößen, Widerstände, Distanzen (vgl. Wiemeyer, et al., 2015, S. 60 f.)